Vorbemerkung
Wir können COVID-19 für einen Moment vergessen und verdrängen. Lange geht das nicht gut. Oder wir können vor Angst erstarren. Aber auch Angst wird der Komplexität der Pandemie nicht gerecht (der Online-Tracker des Londoner Tropeninstituts informiert über mutmachende Entwicklungen: Die Impf-Forschung gg. COVID-19 ist auf einem guten Weg). Eine differenzierte, realistische Analyse – die Unsicherheiten zulässt – ist notwendig. Denn auch eine Impfung bedeutet nicht, dass alles so wird, wie es früher einmal war: Es ist gut möglich, dass wir weiter mit Sars-CoV-2 leben und umgehen werden müssen.
Zum Bild
Kardinal Borghese war ein komplexer Charakter: Kardinal, Nepot, machthungrig, kunstbesessen und noch vieles mehr. Die im Bild dargestellte römische Plastik einer griechischen Figur ließ Borghese auf eine marmorne Matratze legen (mehr dazu: Beilage Franziskus, s.u.).
Kardinal Borghese hat die Figur im dialektischen Dreifach-Sinn „aufgehoben“: Er hat sie (1) für die Nachwelt bewahrt, er hat (2) die philosophische und moraltheologische Beschäftigung mit dem Menschsein weiterentwickelt und (3) die zwischenzeitliche Verächtlichmachung zurückgenommen.
Eine solch gründliche Befassung mit dem Menschsein, die Verkürzungen überwindet, kann gesund machen.
Du hast Dein Leben nicht allein in Deiner Hand
Ist die COVID-19-Pandemie eine vorübergehende Unterbrechung des Alltags oder ein Umbruch? Wir wissen nicht, was kommt. Aber wir wissen: Als Teil der Welt leben wir nie für uns allein. Wir sind nicht unseres Glückes einziger Schmied. Stets leben wir in Beziehungen. Darum gilt es, achtsam auf diese Beziehungen und auf unterschiedliche Lebensrealitäten zu schauen – im Umgang mit unseren Nächsten nah und fern. Denn so wenig wir unser Leben allein in unserer Hand haben, so sehr berühren wir mit unserem Denken und Tun das Leben dieser Nächsten. In einer Zeit des Wandels ist es notwendig, individuell und gesellschaftlich diesen Wandel anzuerkennen und darauf individuell und gesellschaftlich so konstruktiv und heilsam als möglich zu reagieren.
Geduld
Die Menschheit hat in Sachen COVID-19 sehr viel und sehr schnell gelernt. Trotzdem: Noch immer sind viele Fragen ungelöst. Es braucht pragmatische Geduld: Als Einzelne und als Gesellschaft können und müssen wir das tun, was in der jeweiligen Situation als richtig bekannt und erkannt ist. Umfragen zeigen, dass die meisten von uns das Coronavirus richtigerweise als eine globale Katastrophe einschätzen, welche die Menschheit noch lange beschäftigen wird. Weil sich wissenschaftliche Erkenntnis über das Virus und das Wesen der Pandemie erweitert, werden sich unsere Erkenntnisse jedoch noch einige Male verändern und erweitern: Was heute richtig ist, könnten wir mit mehr Wissen morgen vielleicht noch besser machen. Auch gut begründete Prognosen können sich als falsch herausstellen. Das erfordert Geduld.
Sündenböcke
Wer keine Geduld hat und sich nicht ändern will, schiebt einem „Sündenbock“ die „Schuld in die Schuhe“. Der Sündenbock ist ein Mensch, dem von einer Gemeinschaft uneinsichtiger Sünder*innen die Verantwortung für die eigenen Fehler aufgehalst wird. In der ursprünglichen Liturgie ging es um das genaue Gegenteil: Um die Anerkennung eigener Fehler und die eigene Verstrickung in unheilvolle Beziehung und Schuld.
Die bekannten Sprachbilder „jemanden in die Wüste schicken“ oder „zum Sündenbock machen“ beziehen sich auf eine Liturgie des Versöhnungstages, die Jesus gut vertraut war. Ein Ziegenbock wurde an Jom Kippur symbolisch mit den Sünden des Volkes Israel beladen und vom Jerusalemer Tempel in die Wüste geschickt. An Jom Kippur geht es um Versöhnung mit Gott. Den Begriff „Sündenbock“ verdanken wir der sprachgewaltigen Bibelübersetzung Martin Luthers.
Heute gilt: Sündenböcke werden verfolgt, damit eine Gemeinschaft der Uneinsichtigen Bestand haben kann. Das ist das Wesen der Ausgrenzung von Minderheiten.
In autoritär regierten modernen Regimen ist seit etwa zwei Jahrzehnten eine zunehmende Verfolgung sexueller Minderheiten zu beobachten. Die Ursachen für diese Entwicklung sind sehr komplex. Die sozialen Umbrüche in der Gesellschaft sind dabei wichtig: Das Privateste, das sexuelle Sein des Menschen, wird politisch. Dabei kann die Verfolgung von sexuellen Minderheiten leichtgläubig oder böswillig an Fehlinterpretationen heiliger Schriften anschließen.
Dass Gauner bei einer Durchsuchung der Sammelunterkünfte ihr Diebesgut, ihre Schuld, anderen in die Schuhe schoben, kam schon im Mittelalter vor.
Schwierige Fragen, einfache Antworten
Wer Sündenböcken die Schuld in die Schuhe schiebt, kann einfache und Gruppenidentität stiftende Ursachen für komplexe Probleme präsentieren. Wir leben in einer Zeit großer Unsicherheit – von der Pandemie-Entwicklung über den Klimakollaps ist unsere persönliche Existenz immer abhängiger von den großen gesellschaftlichen Verwerfungen. Wer leichte Antworten auf diese komplexen Fragen präsentiert, erhofft sich davon politische Legitimität und politische Macht.
Die Gegenmittel: Ein offener demokratischer Diskurs, Mut zum Denken und zur Verantwortungsübernahme in zusehends unsicheren und unübersichtlichen Zeiten.
Zum Gedenktag von Franziskus 2020 beschreiben wir, warum die scheinbare Sicherheit falscher oder verkürzter Fakten in der COVID-19-Pandemie so verführerisch ist und wie Religion missbraucht wird – und was wir mit Ihrer Hilfe dagegen tun.
Wenn Menschen aufgrund Ihres sexuellen Seins oder ihrer sexuellen Identität verfolgt werden und zu Sündenböcken von COVID-19 gemacht werden (so geschieht es sehr oft in verschiedenen Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit – auch im globalen Norden) müssen wir uns als Teil der Kirche fragen, wo wir durch nachlässiges theologisches Denken und dem Bezug auf zu einfache Antworten einer solchen Verfolgung Vorschub geleistet haben. Wir müssen uns an diesem Punkt verändern.
Informieren Sie sich
Veränderung gelingt mit einem Blick in die Welt, mit einer Anerkennung naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Wir verweisen auf die Informationsseiten des Vereins intergeschlechtlicher Menschen Österreichs (VIMÖ).
In unserer Beilage zu Franziskus 2020 laden wir dazu ein, sich zu informieren. UN OCHA, das Menschenrechtswerk der Vereinten Nationen, warnte schon im April 2020 über eine zunehmende Verfolgung von nichtheterosexuellen Menschen aufgrund und in Mitten der COVID-19-Pandemie (z.B. in Ungarn, Uganda, dem Irak oder in Israel).
Mehr dazu bei plan:g
Unsere Arbeit als katholisches Menschenrechtswerk im Gesundheitssektor der Entwicklungszusammenarbeit berührt unmittelbar Fragen der Gerechtigkeit, des Menschseins und der Moraltheologie.
Offener Brief – keine Diskriminierung aufgrund von Geschlechtsmerkmalen oder Geschlechtsidentität
COVID-19 – menschenrechtsorientierte Informationen für Partnerorganisationen
Gender- und Klimaleugnung – wie Menschenrechten die Grundlage entzogen wird
Sexualität ist weder Sünde noch Krankheit – Konversionstherapien verbieten
Regenbogenpastoral – Verfolgung beenden, Freiheit annehmen
Bitte hängen Sie unsere Poster sichtbar aus.
In vielen Kirchen und Ordinationen hängen fünfmal im Jahr unsere Poster und laden zum Nachdenken über Gesundheit in der Einen Welt ein. Bitte hängen Sie das Poster sichtbar aus. Wenn Sie Zugang zu einem öffentlichen Ort haben, wo unsere Poster Beachtung finden könnten, sprechen Sie uns bitte an.