Bregenz, März 2017. Am 24. März 1882 gab Robert Koch die Entdeckung des Tuberkulose-(TB)-Bakteriums bekannt. Darum wird am 24. März der Welt-TB-Tag begangen.
Das Aussätzigen-Hilfswerk Österreich macht zum Welt-TB-Tag 2017 darauf aufmerksam, dass Gesundheitsprobleme in der Einen Welt alle Menschen betreffen. TB ist weit mehr als ein medizinisches Problem. Wie bei allen großen Problemen unserer Zeit geht es letztlich um Verhaltensveränderung. Bei der TB betrifft die notwendige Verhaltensveränderung unter anderem den menschenwürdigen und klugen Umgang mit der Migration, mit der Nutztierhaltung oder mit Diabetes.
Flucht, Tiere, Zucker: Das sind nur drei Beispiele für die Komplexität von TB, der tödlichsten Infektionskrankheit weltweit, die etwa drei Todesopfer pro Minute fordert.
Was ist menschlich, was ist unmenschlich?
Das Aussätzigen-Hilfswerk Österreich beleuchtet die Ursachen für die schlechte Medikamentenversorgung von TB-Patienten. Arme Menschen sind zu arm, um sich teure Medikamente zu kaufen. Die Industrie kann damit nichts verdienen. Darum kann die pharmazeutische Industrie keine innovative Wirkstoffe gegen Armutskrankheiten wie die TB entwickeln. Dazu Geschäftsführer Matthias Wittrock: „Das bestehende System der Pharmaforschung stößt bei der Entwicklung von Arzneien gegen Armutskrankheiten an seine Grenzen. Es muss grundsätzlich verbessert werden.“
Aber zur Überwindung der TB muss sich nicht nur die pharmazeutische Industrie wandeln. Jeder Mensch ist gerufen, menschliche Maßstäbe und damit sich selbst zu achten.
Beispiel Nummer 1:
Menschenwürdiger Umgang mit Flüchtlingen statt Ausgrenzung
Das Vorurteil: TB-kranke Flüchtlinge infizieren gesunde Österreicher mit TB. Diese Verleumdung, durch fremdenfeindliche Demagogen immer wieder gezielt geschürt, ist unrichtig. TB-kranke Menschen können die Strapazen der Flucht überhaupt nicht auf sich nehmen. Meist erkranken Migranten erst durch diese Strapazen oder in den Massenquartieren. Auch darum ist eine menschenwürdige Unterbringung wichtig.
Notwendig ist eine umfassende Information, so dass böswillige Falschinformationen nicht länger unwidersprochen verbreitet werden können. Wichtig ist auch die Angleichung der TB-Screenings für Einreisende in allen europäischen Ländern. Mehr europäische Integration ist gesund. Menschlich ist, sich um die Schwächsten zu kümmern: Insbesondere Kinder können TB-positiv sein, aber keinerlei Krankheitszeichen zeigen. Die Erfahrung des Aussätzigen-Hilfswerks Österreich aus der Projektarbeit in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit zeigt, dass eine bessere pädiatrische TB-Diagnostik dringend nötig ist.
TB ist dank guter Vorsorgemaßnahmen in Österreich und dank der relativ gut gelungenen Integration von Migranten in unser Gesundheitssystem derzeit unter Kontrolle. In anderen Ländern wie zum Beispiel in Ungarn, wo Menschenrechte von Flüchtlingen systematisch verletzt werden, ist das anders. Auch darum bleibt TB eine Herausforderung und Grund, wachsam zu sein.
Der Zusammenbruch der Gesundheitssysteme in den ehemaligen Ostblockstaaten ist immer noch einer der Hauptursachen für die hohen TB-Zahlen in Osteuropa. Multiple resistente TB-Bakterien sind gefährlich. Die Zunahme von resistenten TB-Stämmen bleibt besorgniserregend. Darum liegt die Entwicklung von neuen, effektiven Medikamenten im Interesse aller Menschen der Einen Welt.
Beispiel Nummer 2:
TB als Zoonose
Können Kühe TB übertragen? In Indien rührt dieser Gedanke an ein Tabu. Denn Kühe gelten in Indien als heilig. Die oft ausgemergelten Tiere werden von den Menschen gefüttert und liebkost. Geheizt wird mit Kuhdung; aus dem Urin von Kühen werden Reinigungsprodukte und sogar Limonaden hergestellt.
Eine Kuh zu töten, wäre undenkbar. Die Menschen schlafen mit den Tieren unter einem Dach und beten mit ihnen. In Österreich ist die Übertragung boviner TB auf den Menschen aufgrund der guten Veterinärmedizin und der Hygiene so gut wie ausgeschlossen. In Indien ist das Risiko aufgrund des sehr viel engeren Kontakts mit den Tieren sehr viel höher. Doch wieviel höher genau?
Um das herauszufinden, finanziert das Aussätzigen-Hilfswerk Österreich eine tier- und humanmedizinische Studie. Sie wird von engagierten indischen Ärztinnen und Ärzten durchgeführt. Die Studie hat zum Ziel, mehr Bewusstsein für den Erreger der Rindertuberkulose zu schaffen. Denn nur bei einer besseren Datenlage können die Zusammenhänge zwischen TB bei Kühen und Menschen besser verstanden werden. Und nur Probleme, die verstanden werden, lassen sich lösen.
Die indischen Tabus mögen uns merkwürdig erscheinen. Aber Tabus und unausgesprochene Verhaltensregeln sind als soziale Normen für das Funktionieren jeder Gesellschaft notwendig. Dennoch können Tabus zum Selbstzweck werden oder außer Kontrolle geraten und dann Schaden anrichten. Bei uns in Österreich ist die „heilige Kuh“ die möglichst billige Kuh. Das bedroht die Existenz der bäuerlichen Landwirtschaft. Außerdem macht ein zu hoher Fleischkonsum krank, denn Massentierhaltung und Antibiotikaresistenzen stehen in direktem Zusammenhang.
Beispiel Nummer 3:
Diabetes und TB.
Diabetes schwächt die Immunabwehr. Das macht anfällig für TB. Weltweit sind etwa 15% aller TB-Fälle auf Diabetes zurückzuführen. Zudem haben Menschen mit TB und Diabetes deutlich schwierigere Krankheitsverläufe als Menschen, die nur an TB leiden. Schon 2014 warnte „The Lancet“, eine der anerkanntesten medizinischen Fachzeitschriften der Welt: Diabetes kann die Erfolge der TB-Arbeit zunichtemachen.
Denn in vielen strukturschwachen Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen steigt die Zahl der Diabetes-Kranken rasant an. Das liegt an der sehr plötzlichen Umstellung auf extrem zuckerreiche, industriell produzierte Nahrungsmittel.
Das macht krank: Metastudien belegen einen direkten Zusammenhang zwischen Limonaden-Konsum und Übergewicht. Die Länder des globalen Südens stehen damit vor einer „doppelten Krankheitsbelastung“: Einerseits bleiben Infektionskrankheiten wie Tuberkulose tödliche Bedrohungen. Andererseits kommen durch veränderte Ernährungsgewohnheiten die Zivilisationskrankheiten Bluthochdruck und Diabetes hinzu.
Was können wir tun?
Die indische Zivilgesellschaft wehrt sich.
Südindien hat Durst. Über 300 Millionen Menschen sind aktuell von Dürre betroffen. Lebensmittelknappheit und Gesundheitsprobleme sind die Folge.
Der weltweite Klimakollaps und lokales Politikversagen haben zu dieser Katastrophe geführt. So werden in Indien immer noch Handpumpen subventioniert und Brunnen gebohrt, anstatt Oberflächenwasser nachhaltig zu bewirtschaften. Auf gigantischen Flächen wächst Zuckerrohr. Die wasserhungrige Pflanze senkt die Grundwasserspiegel dramatisch. Nicht zuletzt aufgrund des Raubbaus durch das Zuckerrohr stehen die südlichen Bundesstaaten des indischen Subkontinents jetzt vor dem trockensten Sommer seit Indiens Unabhängigkeit.
Ein Liter industriell gefertigte Limonade verbraucht ein Vielfaches an frischem Trinkwasser. In ihren modernsten Fabriken braucht Coca Cola zwar nur knapp 2 Liter Wasser, um einen Liter der braunen Brause zu produzieren. In älteren Limonade-Fabriken sieht die Bilanz aber sehr viel schlechter aus. Weil Zuckerrohr angebaut wird, um Limonaden zu süßen, ist die Wasserbilanz von Pepsi, Fanta und Co auch beim Einsatz modernster Techniken verheerend. Denn werden die zur Bewässerung notwendigen Mengen mit eingerechnet, dürfte 1 Liter indischer Industrie-Limo bis zu 400 Liter Wasser kosten.
Darum haben über eine Million indischer Einzelhandelskaufleute derlei Limonaden komplett aus ihren Regalen verbannt. Die Kaufleute befreien sich von der klebrigen Brause. Das Beispiel könnte Schule machen. Denn in vielen Ländern der Entwicklungszusammenarbeit ist der Problemdruck vergleichbar.
Gerade wo Wasser besonders knapp ist, laufen die Geschäfte mit den süßen Säften prächtig. Gezielt lancieren Limonadenhersteller Werbemaßnahmen vor allem an Schulen (im Bild: Pepsi-Werbung in Dar es Salam, Tansania).
Was können wir tun?
SIPCAN und der "österreichische Weg"
Soll Zucker höher besteuert werden? Oder gelingt es, das „österreichische Modell“ in anderen Ländern zu wiederholen? In Österreich fordert Prim. Univ.-Prof. Dr. Friedrich Hoppichler vom Salzburger Krankenhaus der Barmherzigen Brüder seit langem: „Weg von der kostspieligen Reparaturmedizin – hin zur Präventivmedizin!“
Der von ihm gegründete Verein SIPCAN (Special Institute for Preventive Cardiology And Nutrition) veröffentlicht Lehrmaterialien und Listen, in denen die Zuckergehalte verschiedener Getränke exakt dokumentiert sind. Dank SIPCAN wird die gesündere Wahl leichter. Es geht darum, ein anderes Verhältnis zu Lebensmitteln zu erlernen. Mittlerweile gibt es die Zucker-Checklisten von SIPCAN auch als Smartphone-App. Damit werden sie zu einer praktischen Hilfe beim Lebensmittelkauf.
Zuckerhaltige Limonaden sind ein weltweites Gesundheitsproblem. Dazu Pfarrer Edwin Matt, Kuratoriumsvorsitzender des Aussätzigen-Hilfswerks Österreich: „Beschränkung kann befreien. Die Fastenzeit ist ein guter Zeitpunkt, die eigenen Konsumgewohnheiten zu überdenken.“
Luag druf:
Zusammenhänge verstehen, neue Wege finden
Beim Fasten geht es um Freiheit. Dazu ist genaues Hinsehen notwendig. Nur wer genau hinschaut, entdeckt in unserem Startbild zum Welttuberkulosetag 2017 die verschiedenen Gebindegrößen. Nur bezogen auf die etwas kleinere Verpackungsgröße enthält der Energy Drink „weniger“ Zucker als die beiden anderen abgebildeten Produkte. Bezogen auf den Zuckergehalt pro 100 ml enthält ist Red Bull am süßesten. Für alle gilt: Zu süß, ungesund.
Beim genauen Hinsehen hilft das Informationsangebot von SIPCAN. Gerade Kinder und Jugendliche trinken eine Flasche meist ganz leer – größere Gebinde wie eine 1,5 Liter Flasche Eistee sind damit besonders gefährlich. Auch der Ersatz von Zucker durch Süßstoff ist keine präventiv wirksame Maßnahme: Letztlich hilft nur die befreiende Entwöhnung vom allzu süßen Leben. Denn wer sich von klein auf jeden Mittag eine Dose Limo aufreißt, verlernt, natürliche Süße zu Schmecken: Eine Erbeere oder eine Orange schmecken dann nur säuerlich.
Umdenken ist möglich
Der Welt-TB-Tag fällt in die Fastenzeit. Bischof Benno Elbs zitierte in seiner Aschermittwochpredigt den Philosophen Martin Heidegger: „Verzicht nimmt nicht. Verzicht gibt.“ Verzicht ist befreiend, notwendig und macht gesund: Bei uns in Österreich und auch in den Partnerländern der Entwicklungszusammenarbeit.
Das zeigt das Beispiel des Einzelhandels in Indien, das Beispiel von SIPCAN in Österreich und auch die Arbeit des Aussätzigen-Hilfswerks Österreich. Weil stark zuckerhaltiger Getränke die Umwelt zerstören und krank machen, vernetzt das Aussätzigen-Hilfswerk Österreich Partner aus Indien und aus Ostafrika. Es geht um ein gemeinsames Lernen und um die gemeinsame Aktion. Die bewusste Ernährung ist ein wichtiger Beitrag zur Überwindung der TB. Genauso wie der menschliche Umgang mit Flüchtlingen und eine Ernährung, die Massentierhaltung und damit Antibiotikaresistenzen meidet.
Aktiv werden:
Weiterführende Links
Checklisten zum Umgang mit zuckrigen Getränken und viele andere Informationen finden sich auf der Seite von SIPCAN.
Auf der Website der Firma Sonnentor haben wir ein Rezept für Eistee gefunden. Zwei Teebeutel, etwas Zitrone, 500 ml heißes Wasser und ein knapper Esslöffel Holunderblütensirup. Abkühlen lassen. Eiswürfel dazugeben und fertig ist die gesunde Erfrischung.
Ein britischer Starkoch erklärt auf seiner Internetseite, wie man die bis zum 50 Stücke Würfelzucker - drei pro Esslöffel - welche für gewöhnlich im Tomatenketchup stecken, vermeiden kann: Selbstgemacht ist Jamie Oliver's Homemade Tomato Ketchup With loads of Veggies and a Little Kick leckerer, gesünder, besser.
Der Verein KONSUMENTENSOLIDARITÄT JETZT bietet den monatlich aktualisierten „Regionalen Konsumindex“ mit einer Liste empfehlenswerter Produkte, Produzenten und mit wertvollen Tipps.
Pressefotos TB-Tag 2017:
Pressefotos zum Download in druckfähiger Auflösung. Die Bilder zeigen TB-Arbeit im All African Training Center (ALERT) in Addis Abeba, Äthiopien. Nachdruck mit Copyrightvermerk „Aussätzigen-Hilfswerk Österreich“ erwünscht, Belegexemplar erbeten.
Anlegen von TB-Schutzmasken
Schutzmaske und Safety Box zur Entsorgung kontaminierter Utensilien.
Medikamenten-Ration für einen Tag (MDR und XDR Betroffene)
Ziehl-Neelsen-Färbung eines Sputum-Präparats zum Nachweis säurefester TB-Bakterien.